Menschen pflegen Menschen: Care-Arbeit ist mehr als Kinderbetreuung
Interview-Serie People&Culture bei der Messe Karlsruhe – Messe-Mitarbeiterin berichtet aus ihrem Alltag als Pflegeperson
Beim Thema Vereinbarkeit denkt man in erster Linie an Themen wie Kinderbetreuung, Elternzeit oder Work-Life-Balance. Doch auch die Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen betrifft viele Arbeitnehmende. Wir im NEW WORK EVOLUTION Team wollten wissen, welche Erfahrungen unsere Kolleginnen und Kollegen in Sachen Vereinbarkeit & Co. haben. Bedriye Siringül, PR Managerin im Marktteam art karlsruhe, ist Pflegeperson. Wir haben sie gefragt, wie es ihr gelingt, Pflege und Beruf in Einklang zu bringen – zusätzlich zu ihrer Verantwortung als Mutter von drei Kindern – und was sich ändern muss, damit Care-Arbeit von älteren Menschen oder kranken Familienmitgliedern mehr anerkannt wird. Die 41-jährige, die im Alter von 7 Jahren aus der Türkei nach Deutschland gezogen ist, arbeitet seit Anfang 2019 für die Messe Karlsruhe.

Bedriye, Du bist seit rund einem Jahr Pflegeperson Deines Opas. Was verbirgt sich hinter dieser Aufgabe?
Bedriye: Pflegeperson zu sein, ist bei jedem ein bisschen anders, je nachdem, wie die Struktur im Alltag und auch in der Familie ist. In meinem Fall ist meine Oma vor rund einem Jahr verstorben. Nach ihrem Tod hat meine Mutter beschlossen, dass der Opa zu ihr und meinem Vater ziehen sollte. Da meine Eltern jedoch beide selbst berufstätig sind und sie gerade auch bei Behördensprache oder ärztlichen Terminen Sprachbarrieren haben, wurde ich als Pflegeperson eingetragen.
Pflegeperson sein bedeutet einfach, noch eine weitere Verantwortung im Leben zu übernehmen. Da geht es, gerade wenn jemand wie mein Opa im häuslichen Umfeld noch einigermaßen fit ist, viel um Organisatorisches: Ich vereinbare Arzttermine und begleite ihn dann auch dorthin, ich hole seine Medikamente in der Apotheke und übernehme die Kommunikation mit der Sozialstation. Gemeinsam besprechen wir, wie der aktuelle Gesundheitszustand ist und was mein Opa braucht.
Das heißt, Dein Opa hat eine Pflegestufe?
Bedriye: Er hat Pflegestufe 3, das heißt, er ist noch verhältnismäßig fit, aber man merkt auch, dass er einfach nicht mehr so stabil ist. Er kann selbst aufstehen, er kann selbst auf die Toilette gehen, aber ihm fällt es zum Beispiel schwer, in eine Badewanne zu steigen oder von der Tiefe aufzustehen, weshalb wir einen Badewannensitz und einen erhöhten Toilettensitz haben. Diese Dinge erleichtern ihm seinen Alltag ungemein.
Dein Opa wohnt im Haus Deiner Eltern. Sprich: Deine Eltern unterstützen Deinen Opa im Alltag, und du übernimmst die Aufgaben, die außer Haus anfallen?
Bedriye: Genau. Aber wenn meine Eltern im Sommer zum Beispiel ein paar Monate in die Türkei fahren, dann übernehme ich auch deren Aufgaben. Dann bringe ich ihm zu essen, schaue, dass er seine Medikamente genommen hat. Grundsätzlich muss man aber auch sagen, dass wir eine sehr große Familie haben und da auch jeder mit anpackt, das ist vielleicht auch kulturell bedingt. Wir sind also zum Glück sehr breit aufgestellt, aber die Verantwortung dafür, dass alles organisiert ist und gemacht wird, die liegt bei mir.
Wie würdest Du Deinen zeitlichen Aufwand beziffern?
Bedriye: In der Regel sind es zehn Stunden in der Woche, mal mehr, mal weniger. Gerade mit Arztterminen kommt man schnell auf über zehn Stunden – ältere Menschen haben eben viele Haus- und Facharzttermine. Ich nehme die Anliegen meines Opas sehr ernst und tue seine Beschwerden oder auch Ängste nicht einfach ab – gehe also entsprechend direkt zum Arzt mit ihm. Auch Operationen sind im Alter ein Thema: Vorgespräch, Begleitung zur OP und zu den Nachsorgeterminen. Insgesamt kommt da also schon einiges zusammen. Und vor allem ist es keine abgeschlossene Aufgabe. Wenn eine Sache erledigt ist, kommt die nächste. Das macht einen großen Teil des Mental Load aus.

Wie handhabst Du es mit Arztterminen – die sind tagsüber. Hast Du ein Arbeitsmodell, in das Du Deine Pflegefunktion gut integrieren kannst?
Bedriye: Ich habe natürlich mein festes Arbeitszeitmodell mit einer festgelegten Kernzeit. Aber wir bei der Messe Karlsruhe haben im Projektmanagement eine enorme Flexibilität wie, so glaube ich, kaum anderswo. Das ist gerade bei der Angehörigenpflege ein riesiger Vorteil. Und da die Vereinbarkeit mit der Arbeit in meinem Fall einfach gut funktioniert, ist das Thema Pflege für mich tatsächlich einfach.
Wenn ich Arzttermine für meinen Opa ausmache, lege ich die Termine eben auf Tage mit wenigen Terminen oder auf meinen freien Tag. Diese Pflegetermine trage ich auch in meinen Arbeitskalender ein, um Transparenz für unser Team herzustellen. Und natürlich holt man diese fehlenden Stunden dann an anderer Stelle nach und erledigt trotzdem seine Arbeit. Durch eine solche Flexibilität kann man sich seine Zeit einfach so einteilen, wie sie in das Leben passt. Ich kann sowohl meinen privaten Aufgaben und Verpflichtungen als auch den beruflichen nachkommen. Dennoch: Die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das reibungslos funktioniert und die Arbeit optimal geleistet wird, liegt bei einem selbst! Bisher war ich noch nie in der Lage zu sagen: Oh Gott, wie schaffe ich es jetzt diesen Termin wahrzunehmen?
Gibt es Situationen, wo es dann trotzdem herausfordernd ist? Ich denke da auch gerade an die Vor-Messezeit, in der auch Teilzeitkräfte oft Vollzeit arbeiten.
Bedriye: Wenn wir im art-Team im Februar Messe haben, mache ich in der Zeit davor keine Pflegetermine aus, die nicht dringlich sind. Sollte ein akuter Arzttermin anstehen, dann spreche ich das mit meinem Marktteam ab. Und wir haben nicht nur Unterstützung im eigenen Marktteam, sondern auch im Fachbereich PR. Die Kollegialität untereinander ist einfach beispielhaft.
Unabhängig von Care-Arbeit: Jeder Mensch, der arbeitet, hat auch ein Leben. Die Messe Karlsruhe ist ein Arbeitgeber, der einem Vertrauen entgegenbringt und der auch versucht, dieses Thema sichtbar zu machen. Das zeigt sich allein schon dadurch, dass wir gerade hier sitzen und uns darüber unterhalten.
Nicht alle Berufstätigen haben eine solche Flexibilität. Was muss sich tun, damit Menschen Care-Arbeit besser mit dem Beruf in Einklang bringen können? Wie kann Care-Arbeit als Teil unserer familiären Verpflichtungen in einer immer älter werdenden Gesellschaft besser anerkannt werden?
Bedriye: Themen wie Kinder und Kinderbetreuung, die Vereinbarkeit von Elternschaft und Arbeit sind sehr präsent, aber das Thema Pflege noch nicht. Die Wahrnehmung muss deutlich verstärkt werden: Pflege ist für die Angehörigen eine extreme zusätzliche Belastung, sowohl psychisch als auch körperlich. Ich weiß gar nicht, warum dieses Thema so wenig sichtbar ist. Vielleicht, weil ältere Menschen, abgesehen von Verbänden wie dem VDK, keine Lobby haben. Ich habe auch mal einen interessanten Artikel darüber gelesen, warum sich ältere Menschen so oft in gedeckten Farben kleiden, dass das wohl unterschwellig damit zusammenhängt, dass sie versuchen, sich weniger sichtbar zu machen. Und es ist eine Tatsache, dass sie oft nach dem Ausscheiden aus dem Beruf einfach nicht mehr gesehen werden!
Aber es gibt alte Menschen, und es gibt sie in wachsender Zahl, und damit auch Familien, die sich um sie kümmern und die ebenfalls mehr Sichtbarkeit brauchen. Das wünsche ich mir!
Danke, liebe Bedriye, für diese Einblicke!