01.10.2025

„Gemischte Teams erzielen nachweislich bessere wirtschaftliche Erfolge als homogene“

Interview-Serie People&Culture bei der Messe Karlsruhe – Messechefin Britta Wirtz über Frauen in Führung, Role Models und was sich gesellschaftlich und politisch für Frauen ändern muss

Mehr als die Hälfte der Personen, die ihre Schullaufbahn mit dem Abitur abschließen ist weiblich (55 Prozent), ebenso sieht es an den Universitäten aus (51 Prozent). Dennoch war 2024 nur jede Dritte Führungskraft weiblich, obwohl die Zahl berufstätiger Frauen insgesamt stetig zunimmt. Mehr Diversität in Führung – nicht nur in Sachen Geschlecht – ist ein zentrales Thema der Fachmesse NEW WORK EVOLUTION. Und natürlich liegt nahe, dann auch vor der eigenen Haustüre zu schauen: Die Messe Karlsruhe wird seit über 15 Jahren von einer Frau geführt, auf Direktorenebene herrscht ebenfalls Parität. Wir haben mit Messe-Geschäftsführerin Britta Wirtz gesprochen, warum Frauen in Führung anderenorts noch in der Minderheit sind, was sich ändern müsste und welchen Herausforderungen sie selbst in ihrer Laufbahn begegnet ist.

In Deutschland ist der Anteil an Frauen an den Unternehmensspitzen gering, im Messesektor sogar niedriger als im Durchschnitt. Außer Ihnen sind nur zwei weitere Frauen bei national und international tätigen Messen an der Spitze. Was sind die Gründe?

Britta Wirtz: Wir haben in Deutschland eine besondere Messestruktur: An vielen Messeplätzen sind die Gesellschaften in öffentlich-rechtlicher Hand. Da bestimmen überwiegend männlich dominierte Aufsichtsräte die Besetzung von Führungsspitzen. Zum anderen sind diese Positionen in gewissem Maße auch politisch – und das wiederum mag für manche Bewerberin eher abschreckend sein.

Das heißt beide Seiten müssten an sich arbeiten, diejenigen, die über die Personalie entscheiden und auf der anderen Seite Frauen, die sich vielleicht zu sehr hinterfragen, ob sie das überhaupt schaffen?

Genau. Die zentrale Frage ist natürlich: Sind die Entscheidungsträger wirklich motiviert, Frauen nach vorne zu bringen? Denn das Potenzial und die Auswahl an weiblichen Messekräften ist definitiv da. Wir sehen beispielsweise im Netzwerk Women in Exhibitions DACH, dass in Deutschland, Österreich und der Schweiz das Messebusiness zu großen Teilen von Frauen gemacht wird. Nur an der Spitze scheitert es dann wieder. Vor allem Deutschland hinkt im europäischen Vergleich hinterher.

Ganz provokativ gefragt: Brauchen Frauen schlichtweg mehr Biss?

Biss und Ellenbogen haben Frauen. Frauen können sich genauso durch Themen durchbeißen, sie sind genauso ehrgeizig und zielstrebig wie Männer. Was es braucht, ist vielleicht teilweise mehr Selbstvertrauen und den Mut sich auch ganz vorne zu sehen. Und sich selbst zu sagen: Ich versuch das jetzt einfach mal, und wenn es dann nicht sein soll, ist es auch vollkommen in Ordnung.

Wir sind hier in Deutschland von unserer Haltung und Erziehung her ein wenig zum Erfolg gezwungen. Man macht sich selbst große Vorwürfe, wenn es einmal im Beruf nicht funktioniert. Von dieser Haltung müssen wir, so glaube ich, grundsätzlich wegkommen.

Der Mut, Neues auszuprobieren, der sollte höher bewertet werden als das potenzielle Scheitern. Und wenn man eben auch einmal scheitert, dann darf das auf gar keinen Fall am Geschlecht fest gemacht werden.

Als Sie die Position der Geschäftsführerin der Messe Karlsruhe übernahmen: Gab es viele Zweifler, gab es Gegenwind? Wurden sie häufig hinterfragt?

Karlsruhe hat glücklicherweise grundsätzlich eine Kultur, starke Frauen von jeher nach vorne zu holen. Das hat sich meines Erachtens sehr eindrücklich am Stadtgeburtstag gezeigt, bei dem die vielen Frauen, die in Karlsruhe Geschichte geschrieben haben, im Mittelpunkt standen. Und Karlsruhe hat, wie ich glaube, eine sehr starke Frauengeschichte.

Meine erste Aufsichtsratsvorsitzende war eine Frau: Margret Mergen, ehemalige Oberbürgermeisterin von Baden-Baden, die damals erste Bürgermeisterin hier in Karlsruhe war. Sie hatte vermutlich einen Blick dafür zu sehen: Da ist eine Frau, die schafft diese Position. Und das hat sich dann offensichtlich auch bewahrheitet.

Ich kann nicht verhehlen, dass sich inzwischen auch viele andere Städte Frauen in Führungspositionen ihrer Messegesellschaft wünschen. Da kamen immer wieder Anrufe aus anderen Bundesländern bei mir an. Aber ich habe mich hier immer wohl- und auch wertgeschätzt gefühlt, auch von den Aufsichts- und Gemeinderäten, die ja im Wesentlichen meine Stakeholder sind. Also habe ich mich nicht veranlasst gesehen, die Frauenquote andernorts zu erfüllen.

Frauennetzwerke liegen Britta Wirtz am Herzen - wie hier die Women in Mobility.

Tauchen wir mal tief ein ins Klischee: Gibt es Unterschiede in der Führung zwischen Frauen und Männern?

Ja, die gibt es in der Tat – ich sehe das auch in Branchenmeetings, die überwiegend männlich besetzt sind. Mein Eindruck ist, dass die Kommunikationskultur eine andere ist. Beispielsweise der Umgang mit mobiler Arbeit, das Vertrauen, das es hierfür braucht – männliche Chefetagen tun sich hier eher schwer.

Wenn Sie jetzt auf Ihre eigene berufliche Laufbahn zurückblicken: Gibt es aus Ihrer Sicht Dinge, die Sie jungen Frauen mitgeben würden? Sehen Sie sich da auch als Role Model, die junge Frauen an die Hand nimmt?

Ich gebe immer wieder Frauen, die an Karriereprogrammen teilnehmen, sei es hier bei der Stadt Karlsruhe oder auch über Universitäten gerne Einblick in meine Arbeit. Ich bin Teil des Netzwerks Spitzenfrauen Baden-Württemberg, nehme in Kürze wieder am Female Leadership Forum teil. Und an der Messe Karlsruhe haben wir des Öfteren selbst Veranstaltungen, die das Thema Frauen in Führung transportieren, beispielsweise fand bereits dreimal der Digital Female Leader Award zusammen mit Tijen Onaran hier in unseren Räumlichkeiten statt, zweimal davon mit der Messe Karlsruhe als Co-Host. Als kurz vor Corona ein Frauennetzwerk für die Messebranche gegründet werden sollte, habe ich dieses von Anfang an unterstützt.

Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, Frauen Mut zu machen, ihren Weg zu gehen. Und ich glaube, wir als Messe Karlsruhe sind im Kontext der städtischen Gesellschaften diejenige, bei der proportional die meisten Frauen auf Führungs- und Geschäftsführungsebene agieren und Verantwortung übernehmen. Darauf können wir zurecht stolz sein.

Was hat dazu geführt? Denn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Kinderbetreuung & Co. sind in den Regionen ähnlich und trotzdem ist der Anteil an weiblicher Führung bei der Messe Karlsruhe sehr hoch.

Gerade das Thema Familie und Kinderbetreuung habe ich selbst erlebt. Ich habe mir immer gesagt, wenn ich einen festen Willen habe, diesen Job zu machen, dann schaffe ich das auch. Ich brauche natürlich ein entsprechend flexibles Modell. Wir bei der Messe Karlsruhe haben durch Corona in Sachen mobiler Arbeit einen Turbo hingelegt. Allerdings hatten wir schon vor der Pandemie 36 unterschiedliche Teilzeitmodelle, um Beruf, Erziehungsarbeit, Pflegezeit, Kinderzeit in Einklang zu bringen.

Dadurch kommen sehr viele Frauen nach der Elternzeit schnell zurück in den Beruf, und das in ganz unterschiedlichen Konstellationen. Das ist eine schöne Bestätigung für unsere Modelle, aber wir haben natürlich auch das große Glück, dass unsere Aufgabenbereiche das zulassen.

Thema Frauenquote: Das wird nach wie vor vieldiskutiert. Wie sehen Sie das?

Ich habe mich beim Thema Quote lange Zeit weder der Pro- noch der Contra-Seite zugeordnet. Mittlerweile tendiere ich dazu, dass, wenn es aus eigener Kraft der Unternehmensleitung nicht funktioniert, eine Quote oder ein Bonus- / Malus-System greifen sollte. Aber man muss jedem Unternehmen erst einmal die Chance geben, es aus eigenem Antrieb zu schaffen und vor allem, zu hinterfragen, was das jeweilige Unternehmen braucht und wie sich eine größere Vielfalt auf das Unternehmen auswirkt.

Inzwischen ist es sogar erwiesen, dass gemischte Teams bessere wirtschaftliche Erfolge erzielen als homogene, unabhängig von der Frage Frau oder Mann. Jedem Unternehmen oder jeder Führungsebene tut es gut, wenn jüngere, ältere Arbeitnehmende, Männer, Frauen, unterschiedlichste Menschen zusammen arbeiten mit ihrem ganz eigenen Lebenskontext. Diese Multiperspektivität ist in der Entscheidungsfindung extrem wertvoll.

Sie haben vorhin angemerkt, dass man Führung schaffen kann, wenn man den Willen hat. Gibt es dennoch aus Ihrer Sicht Rahmenbedingungen, die sich verbessern müssten?

Erziehungsarbeit und Social Work, wenn ich es mal so nennen darf, sind im familiären Kontext immer noch sehr stark bei der Frau angesiedelt. Hier braucht es ein Umdenken, ein Hinterfragen bei den Männern, wie sie damit umgehen wollen, dass beispielsweise bei den Abiturquoten und den Studierendenzahlen Frauen in der Mehrheit sind. Wie kann es gelingen, dass sich ein Mann nicht zurückgesetzt fühlt, wenn beispielsweise seine Partnerin Karriere macht? Wie kann eine wirklich gleichberechtigte Partnerschaft gelingen?

Gleichermaßen sehe ich dringenden Handlungsbedarf beim Thema Steuern. Ich finde es entsetzlich, wenn der – häufig männliche – Besserverdienende in eine bevorzugte Steuerklasse gesetzt wird und der Netto-Verdienst der Frau dann gerade einmal die Kosten für die Kinderbetreuung abdeckt, weshalb es manchen Familien im ersten Moment wirtschaftlich gar nicht sinnvoll erscheint, sich den – in Anführungszeichen – Stress der Organisation der Kinderbetreuung überhaupt anzutun.

Wir verkennen als Gesellschaft in diesem Zusammenhang, dass mittlerweile ein großer Teil der Ehen geschieden werden und Frauen, die sich langfristig aus dem Berufsleben herausgezogen haben, beispielsweise um Care Arbeit zu leisten, deutlich schlechtere Wiedereinstiegschancen haben. Im Falle einer Scheidung stehen diese Frauen dann erst einmal vollkommen blank da und müssen häufig einen deutlichen Rückschritt in ihrer Lebensqualität hinnehmen. Hier fehlt mir ehrlich gesagt auch der der politische Move, das zu ändern.

Wie haben Sie selbst das Thema Kinder und Beruf organisiert?

In einer Partnerschaft lege ich mir Kinder nicht alleine zu, sondern gemeinsam. Ich persönlich finde es extrem wichtig, dass beide Partner sagen, was sie für berufliche Ansprüche an sich selbst haben und was für Prioritäten sie setzen.

Mein Mann und ich haben uns sehr frühzeitig darauf geeinigt, dass ich meine berufliche Karriere nicht an den Nagel hängen werde, nur weil wir Kinder haben. Aber das braucht natürlich dann auch einen Partner, der das akzeptiert und unterstützt.

Wir hatten den großen Vorteil, dass wir zunächst in einem Dreifamilienhaus mit meinen Schwiegereltern gewohnt haben. Als wir dann umgezogen sind nach Karlsruhe, war mein jüngerer Sohn gerade etwas mehr als ein Jahr alt. Da mussten wir uns schon umschauen und haben es dann mit einer Kombi aus Schulhort sowie Kindergarten und Kinderfrau geschafft. Aber ohne die Hilfe Dritter geht das schwer, das ist klar.

Hatten Sie selbst auch weibliche Role Models?

Ganz klar meine Nana. Meine Oma väterlicherseits hat immer im kaufmännischen Bereich gearbeitet. Sie war im Prinzip auch die Finanzchefin in der Ehe meiner Großeltern, hatte von Bankangelegenheiten bis zu Versicherungen alles gemanagt. Man hat ihr immer angemerkt, dass die Arbeit ihr gut getan hat.

Dann gibt es noch meine „Oma Karlsruhe“, also meine hiesige Uroma, Käthe Kaufmann. Kaum zu toppen, was diese Frau, Jahrgang 1899, alles gerockt hat! Übrigens eine der ersten Frauen in Deutschland, die einen Führerschein hatte. Vom ersten Mann hat sie sich scheiden lassen, er hatte sie in der Ehe misshandelt. Damals war bei einer Scheidung erst einmal die Frau schuld, das heißt, sie musste vor Gericht nachweisen, dass dem nicht so war. In der zweiten Ehe war sie dann mit einem wunderbaren, erfolgreichen Unternehmer verheiratet, einem Juden, der 1943 nach Ausschwitz deportiert wurde. Sie hat wie eine Löwin für ihn gekämpft – vergeblich. Nach dem Krieg hat sie sich dann selbstständig gemacht – als Frau! Sie hat eine Schneiderei und Modeboutique aufgemacht und damals auch gegen viele Widerstände ankämpfen müssen, obwohl sie richtig erfolgreich war mit ihrem Geschäft. Käthe Kaufmann hat zwei Weltkriege miterlebt, ihren Mann verloren; ihr einziges Kind ging ins ferne Ausland – und ist doch immer wieder aufgestanden. Das war und ist für mich beispielhaft.

Vielen Dank für das Gespräch!

Anmerkung: Britta Wirtz hat gemeinsam mit dem Publizisten Bernhard Wagner ein Buch über ihre Urgroßmutter verfasst: Käthe Kaufmann – Eine starke Frau aus Karlsruhe.

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